Zwischen Klimazielen und Fachkräftemangel: Warum das Handwerk mitgedacht werden muss
Thomä, J., Weiß, A. & Wesling, M. (2025). Zwischen Klimazielen und Fachkräftemangel: Warum das Handwerk mitgedacht werden muss. ifh Forschungsbericht Nr. 28. Göttingen.
Angesichts der weitreichenden Auswirkungen des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt steht die Politik inzwischen vor der grundlegenden Herausforderung, ihre unterschiedlichen Ziele und Maßnahmen stets auch unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Arbeitskräfteverknappung zu betrachten. Dafür sind geeignete Instrumente erforderlich, die eine kontinuierliche Beobachtung der Nachwuchs- und Fachkräftesituation in relevanten Bereichen des Arbeitsmarktes und der damit verbundenen Qualifikationsbedarfe ermöglichen. Vor diesem Hintergrund zeigt der vorliegende Forschungsbericht am Beispiel der politisch angestrebten Transformation der Wirtschaft zur Klimaneutralität, wie ein solches Instrument aus Sicht des Handwerks aussehen kann und welches Vorgehen damit verbunden ist. Denn das Handwerk ist einerseits ein zentraler Umsetzungsakteur auf dem Weg zu mehr Klimaneutralität, und ist andererseits wie kaum ein anderer Wirtschaftsbereich bereits von der Verknappung des Faktors Arbeit betroffen.
Unter Beteiligung verschiedener Expertinnen und Experten der Handwerksorganisation wurden klimapolitisch definierte Ziele und Maßnahmen in 111 handwerkliche Einzeltätigkeiten übersetzt. Diese Tätigkeiten wurden fünf Bereichen zugeordnet, wodurch 26 für die Umsetzung der gesetzten Klimaziele relevante Gewerke identifiziert wurden. Dazu zählen neben Elektrotechnikern und Installateuren/Heizungsbauern beispielsweise auch Dachdecker, Kälteanlagenbauer sowie Land- und Baumaschinenmechatroniker. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser „Klimahandwerke“ ist erheblich. Auch im Berufsbildungsbereich spielen sie eine zentrale Rolle, etwa bei Gesellen- und Meisterprüfungen. Vor dem Hintergrund der gesetzten Klimaziele sind Politik und Handwerksorganisationen also gut beraten, die Entwicklung des Fachkräftebestands und der Nachwuchssituation in diesem Teilbereich des Handwerks aufmerksam zu verfolgen.
Der Bericht veranschaulicht anhand zweier Beispiele, wie dies in der Praxis aussehen kann. Einerseits zeigt er, dass die entwickelte Gewerke-Klassifikation ein Monitoring der Arbeitsmarkt- und Berufsbildungsentwicklung in klima-politisch relevanten Handwerksbereichen ermöglicht. So kann beispielsweise abgewogen werden, ob der Arbeitskräftebedarf für die gewählten Politikmaßnahmen zur Erreichung der Klimaziele in den relevanten Gewerken gedeckt ist oder ob nachgesteuert werden muss. Andererseits wird aufgezeigt, dass vorhandene Qualifikationsangebote in den betreffenden Klimahandwerken auf Basis der Gewerke-Klassifikation überprüft werden können, um festzustellen, ob sie das Spektrum der identifizierten Tätigkeiten und Kompetenzanforderungen bereits hinreichend abbilden oder ob Anpassungsbedarf besteht.
Der vorliegende Bericht zeigt damit am Beispiel der Klimapolitik und aus Sicht des Handwerks, wie eine Berücksichtigung der Arbeitskräfteverknappung bei der Formulierung und Umsetzung gesamtwirtschaftlich relevanter Vorhaben aussehen kann. In Zeiten des demografischen Wandels müssen die bildungs- und arbeitsmarktbezogenen Auswirkungen politischer Ziele und Maßnahmen stets im Blick bleiben, um deren Erreichung nicht zu gefährden. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Handwerkswirtschaft: Einerseits sind verschiedene politische Ziele nur mit dem Handwerk als zentralem Umsetzungsakteur erreichbar, andererseits steht das Handwerk in besonderem Maße vor den Herausforderungen der Arbeitskräfteverknappung.
Gleichzeitig ist zu betonen, dass die hier vorgestellte Abgrenzung der „Klimahandwerke“ nicht den Anspruch erhebt, alle umwelt- oder klimafreundlichen Tätigkeiten und Berufe im Handwerk zu identifizieren oder für das Handwerk in seiner Gesamtheit abzubilden. Daher werden in diesem Forschungsbericht auch keine „grünen“ von „nicht-grünen“ Handwerken abgegrenzt. Ausgangspunkt der vorliegenden Gewerke-Klassifikation waren konkrete klimapolitische Vorhaben und Maßnahmen sowie die Frage, wie diese mit den im Handwerk bestehenden Arbeitskräfteverfügbarkeiten und Qualifikationsangeboten zusammenpassen. Insofern muss die Liste der 26 Klimahandwerke keineswegs abschließend sein. Eines ist dabei klar: Der Weg zu mehr Klimaneutralität gelingt nicht ohne das Handwerk und die dort tätigen Personen.