Nachwuchssituation und Nachwuchsprobleme im niedersächsischen Handwerk - unter besonderer Berücksichtigung von Frauen

Kornhardt, U. (1997). Nachwuchssituation und Nachwuchsprobleme im niedersächsischen Handwerk - unter besonderer Berücksichtigung von Frauen. Göttinger Handwerkswirtschaftliche Studien (Band 55). Duderstadt: Mecke.

Die aktuellen Probleme auf dem Lehrstellenmarkt in der Bundesrepublik Deutschland stehen gegenwärtig im Blickpunkt der öffentlichen Diskussion. Hintergrund ist, daß die Zahl der Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, in den nächsten Jahren aus demographischen Gründen weiter ansteigen wird, während das Angebot an Ausbildungsstellen seit Jahren sinkt. Von besondere Brisanz ist dabei, daß auch die Ausbildungsbeteiligung des Handwerks, neben Industrie und Handel maßgeblicher Träger des dualen Berufsausbildungssystems, deutlich zurückgegangen ist.

Vor diesem Hintergrund hat das Seminar für Handwerkswesen im Auftrag des Niedersächsischen Wirtschaftsministeriums die gegenwärtige Nachwuchssituation und die aktuellen Nachwuchsprobleme im niedersächsischen Handwerk umfassend untersucht. Ein besonderes Augenmerk galt dabei den Hemmnissen und Chancen der weiblichen Nachwuchskräfte bzw. von Frauen im Handwerk. Darüber hinaus wird anhand einer Projektion aufgezeigt, wie sich die Nachfrage nach handwerklichen Ausbildungsstellen bis zum Jahr 2010 voraussichtlich entwickeln wird. In einer Modellrechnung wird der Zusammenhang zwischen den Ausbildungsaktivitäten der Betriebe und der langfristigen Sicherung des Fachkräftebedarfs im Handwerk deutlich gemacht. Datengrundlage der Analyse bildet neben einschlägigen Sekundärstatistiken eine schriftliche Befragung niedersächsischer Handwerksbetriebe.

Die Untersuchung zeigt, daß das niedersächsische Handwerk gegenwärtig weniger quantitative als vielmehr qualitative Nachwuchsprobleme hat. Nach wie vor bildet der Wirtschaftsbereich Handwerk weit über den eigenen Bedarf hinaus aus und deckt ein Großteil des Fachkräftebedarfs der Industrie und anderer Wirtschaftsbereiche mit ab. Aufgrund der hohen Ausbildungsquoten in den meisten Handwerkszweigen bestehen daher, von wenigen Ausnahmen abgesehen (z.B. Fleischer), derzeit keine akuten Nachwuchsprobleme.

Nach den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit ist die gesunkene Ausbildungsbeteiligung des Handwerks vor allem auf folgende Ursachen zurückzuführen:

Für viele Jugendliche stellt eine Ausbildung im Handwerk aufgrund mangelnder Attraktivität lediglich "zweite Wahl" dar ("second-best-Lösung"). Deshalb hatten Handwerksbetriebe in der Vergangenheit zum Teil große Probleme, Bewerber für freie Lehrstellen zu finden. Als Konsequenz haben sich zahlreiche Betriebe in den letzten Jahren ganz aus der Lehrlingsausbildung zurückgezogen und stattdessen verstärkt auf un- und angelernte Arbeitskräfte zurückgegriffen.

Die Nutzen-Kosten-Bilanz der Lehrlingsausbildung im Handwerk hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Hierzu haben vor allem die Höhe der Ausbildungsvergütung, die gesunkene Verweildauer der Lehrlinge im Betrieb sowie die hohe Abbruchquote bei der Lehrlingsausbildung beigetragen.

Die Handwerksbetriebe haben zunehmend Schwierigkeiten, in qualitativer Hinsicht geeignete Lehrlinge zu finden. Aufgrund schlechter Erfahrungen durch Lehrabbrüche, Prüfungsversagen und Demotivation der Lehrlinge sind viele Handwerksbetriebe in ihrem Einstellungsverhalten vorsichtig geworden und lassen im Zweifelsfall den Ausbildungsplatz lieber unbesetzt, wenn eine erfolgreiche Ausbildung von vornherein in Frage steht.

Insbesondere aus zwei Gründen sollte alles versucht werden, um die Ausbildungsaktivitäten des niedersächsischen Handwerks künftig wieder zu erhöhen:

  • Zum einen wird in Niedersachsen die Zahl der Jugendlichen, die eine handwerkliche Berufsausbildung anstreben, bis zum Jahr 2010 gegenüber heute um rund 20 % zunehmen. Damit ist eine tendenzielle Verbesserung der Position des Handwerks auf dem Ausbildungsstellenmarkt verbunden.
  • Zum anderen macht eine Modellrechnung des SfH deutlich, daß das niedersächsische Handwerk erst bei einer Zahl von durchschnittlich rund 26.000 neuen Ausbildungsverträgen jährlich (gegenüber 23.000 heute) seinen langfristigen Fachkräftebedarf aus den eigenen Reihen decken kann.

Um die Ausbildungsaktivitäten der Handwerksbetriebe zu erhöhen und den künftigen Fachkräftebedarf im niedersächsischen Handwerk sicherzustellen, besteht aufgrund der Ergebnisse der Untersuchung vor allem in folgenden Bereichen Handlungsbedarf:

  • Verbesserung des Handwerksimages und Steigerung der Attraktivität der handwerklichen Berufsausbildung;
  • Verbesserung der Nutzen-Kosten-Bilanz der Lehrlingsausbildung im Handwerk;
  • Verbesserung der schulischen Ausgangsqualifikation der handwerklichen Lehrlinge; 
  • Erhöhung des Frauenanteils im Handwerk auf der mittleren und höheren Qualifikationsebene.

Hierzu werden eine Reihe von Handlungsempfehlungen gegeben und konkrete Maßnahmenvorschläge gemacht, die vom begleitenden Ad-hoc-Arbeitskreis, dem Experten aus verschiedenen Ministerien und der Handwerksorganisationen angehörten, diskutiert und verabschiedet worden sind.

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