Handwerk im ländlichen Raum
Runst, P. & Haverkamp, K. (2018). Handwerk im ländlichen Raum. Göttinger Beiträge zur Handwerksforschung (Heft 22). Göttingen.
Das Handwerk ist ländlich. Dies zeigt eine Analyse von Handwerksstruktur- und Regionaldaten durch das ifh Göttingen. Obwohl das Handwerk auch in den Städten eine gewichtige Rolle spielt, liegt der Beschäftigungsbeitrag des Handwerks in ländlichen Regionen um rund 30 % höher als in städtischen Regionen. In den meisten der 402 deutschen Kreise liegt der Anteil der Handwerker an allen Erwerbstätigen über 10 %. Gerade in solchen Räumen, die eine niedrigere Wirtschaftsleistung aufweisen als Städte, übernimmt das Handwerk eine stabilisierende Funktion. In diesen Regionen sind eine geringere Armut, eine hohe Ausbildungsquote bei Jugendlichen und eine geringere Betroffenheit von Abwanderung zu verzeichnen. Die Strukturförderung des ländlichen Raumes konzentriert sich zugleich auf weniger stark handwerklich geprägte Räume.
„Gerade in diesen Räumen, welche eine niedrigere Wirtschaftsleistung aufweisen, übernimmt das Handwerk eine stabilisierende Funktion.“
Handwerksregionen:
- sind ländlich geprägt,
- weniger stark von Bevölkerungsrückgang betroffen,
- ausbildungsstärker,
- weniger von Kinderarmut und Arbeitslosigkeit betroffen als vergleichbare Regionen,
- erhalten weniger Strukturförderung,
- hatten schon in den 1920er Jahren ähnliche Strukturmerkmale.
Die Studie basiert auf den INKAR-Daten der laufenden Raumbeobachtung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt und Raumforschung (BBSR). Für alle 402 deutschen Kreise und kreisfreien Städte liegt für den Zeitraum 2000 bis 2015 eine Vielzahl von Variablen vor.
Der Anteil aller Handwerker an allen Erwerbstätigen variiert stark zwischen allen deutschen Kreisen. Die Kreise Schwabach Stadt, Neumarkt i.d. Oberpfalz, Rottal-Inn, Straubing-Bogen, Oldenburg und Eichstätt haben mit mehr als 25 % den höchsten Handwerkeranteil, während stark urbane Regionen niedrigere Handwerkeranteile vorweisen. Auch die regionale Verteilung der Handwerksregionen ist nicht gleichmäßig. Beispielsweise ist der Handwerkeranteil in den Grenzregionen zu den Niederlanden, zu Dänemark, Österreich oder der Tschechischen Republik relativ hoch.
Die strukturell stärkende Wirkung des Handwerks innerhalb der relativ weniger wohlhabenden Regionen zeigt sich anhand mehrerer Indikatoren. In Handwerksregionen wird vergleichsweise stark ausgebildet. Die Ausbildungsquote in den Jahren 1995 bis 2015 liegt ca. 8 % über der Ausbildungsquote in Nichthandwerksregionen. Dafür liegen die Arbeitslosenrate und die Kinderarmut deutlich niedriger als in Nichthandwerksregionen.
Handwerksregionen erhalten fast 50 % weniger Strukturförderung als vergleichbare, eher strukturschwache Nichthandwerksregionen. Der Bevölkerungsrückgang ist jedoch in den Nichthandwerksregionen deutlich stärker (8,93 % vs. 4.25 %). Die meisten Strukturfördermittel fließen also in Regionen, in denen zukünftig weniger Menschen leben werden. Eine solche Förderung von stark schrumpfenden Regionen kann folglich als nicht unbedingt nachhaltige wirtschaftspolitische Maßnahme angesehen werden.
Bei einer langfristigen Betrachtung zeigt sich eine Stabilität handwerklicher Wirtschaftsstrukturen. Eine Region, die 1926 stark von Handwerkern geprägt war, ist 90 Jahre später mit hoher Wahrscheinlichkeit immer noch eine Handwerksregion. Diese historische Stabilität lässt sich womöglich durch das Vorhandensein und die Weitergabe von spezialisiertem Wissen erklären.