Die Konjunkturabhängigkeit des Handwerks - am Beispiel der Wirtschaftskrise 2008/2009
Thomä, J. (2010). Die Konjunkturabhängigkeit des Handwerks - am Beispiel der Wirtschaftskrise 2008/2009. Göttinger Handwerkswirtschaftliche Arbeitshefte (Heft 64). Duderstadt: Mecke.
Auch das Handwerk konnte sich den Auswirkungen der schweren Wirtschaftskrise 2008/2009 nicht entziehen, was durch einen relativ starken Rückgang der Handwerksumsätze deutlich wurde. Scheinbar im Widerspruch dazu wurde im Jahresverlauf 2009 von unterschiedlicher Seite immer wieder die konjunkturstabilisierende Wirkung des Handwerks hervorgehoben. Dies nicht zuletzt deshalb, da die im Rahmen von Konjunkturumfragen festgestellte Lage vieler Handwerksbetriebe im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen relativ stabil geblieben war. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich das vorliegende Arbeitsheft mit der Konjunkturabhängigkeit des Wirtschaftsbereichs Handwerk und setzt sich insbesondere mit der Frage auseinander, ob das Handwerk eine konjunkturelle Stabilisatorfunktion besitzt oder nicht.
Die Untersuchung zeigt, dass sich die Handwerkswirtschaft in einen konjunkturabhängigen und einen weniger konjunkturabhängigen Bereich teilt. Da ersterer umsatztechnisch überwiegt, spricht dies eher gegen eine generelle Stabilisatorfunktion des Handwerks. Hierunter fallen sowohl die in der aktuellen Krise besonders stark betroffenen Handwerke für den gewerblichen Bedarf als auch das Bau- und Ausbaugewerbe. Die konsumnahen Gewerbegruppen des Handwerks sind demgegenüber deutlich weniger konjunkturabhängig. Das charakteristische Beschäftigungsverhalten im überwiegenden Teil des Handwerks spricht dagegen eher für eine konjunkturelle Stabilisatorfunktion des Handwerks. Denn im Vergleich zur Gesamtwirtschaft hält der Großteil der Handwerksbetriebe auch in konjunkturell schlechten Zeiten tendenziell länger an seinen Mitarbeitern fest.
In diesem Zusammenhang beleuchtet die neue Studie des ifh Göttingen auch die Hintergründe der in den einzelnen Gewerbegruppen des Handwerks unterschiedlich stark ausgeprägten Konjunkturabhängigkeit. Hierbei wird deutlich, dass die Betroffenheit des Handwerks von wirtschaftlichen Krisen stets von der Struktur der jeweils aktuellen volkswirtschaftlichen Nachfrageschwäche abhängt. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die unterschiedliche Konjunkturabhängigkeit der einzelnen Handwerksbereiche im Wesentlichen ein Spiegelbild der gesamtwirtschaftlichen Nachfrageentwicklung ist. Konkret wird die konjunkturelle Entwicklung im Handwerk in erster Linie von der Baunachfrage, danach in abgeschwächter Form von der privaten Konsumnachfrage und erst mit einigem Abstand von der Nachfrage nach Ausrüstungsgütern bestimmt.
Die konjunktursensible Exportnachfrage spielt hingegen für die Ausschläge der Handwerkskonjunktur nur eine untergeordnete Rolle. Bei der privaten Investitionsnachfrage wiederum handelt es sich um eine besonders volatile Verwendungskomponente des Bruttoinlandsprodukts, wodurch sich auch die höhere Konjunkturabhängigkeit der entsprechenden handwerklichen Gewerbegruppen (Bau, Ausbau und vor allem gewerblicher Bedarf) erklärt. Die private Konsumnachfrage ist dagegen in der Regel ein Zyklusdämpfer der gesamtwirtschaftlichen Konjunkturlage, wodurch die konsumnahen Handwerke auch eher stabilisierend wirken können.
Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse erklärt sich auch die Lage des Handwerks in der Wirtschaftskrise 2008/2009: Die Gesamtwirtschaft wurde in der Krise vor allem durch einen Exporteinbruch sowie durch deutliche Rückgänge der Nachfrage nach Ausrüstungsgütern und gewerblichen Bauten in Mitleidenschaft gezogen. Abgesehen davon blieb die Binnennachfrage – nicht zuletzt dank erheblicher konjunkturstützender Maßnahmen – weitgehend stabil. Aufgrund der weitgehenden Binnenmarktorientierung blieb dementsprechend die konjunkturelle Lage in weiten Teilen des Handwerks vergleichsweise stabil. Hier wirkte sich die nur geringe Exportabhängigkeit des Handwerks vorteilhaft aus. Auch die im Krisenjahr 2009 besonders stark betroffenen Handwerke für den gewerblichen Bedarf spielten für die Ausschläge der Handwerkskonjunktur eine weniger große Rolle als andere Handwerksbereiche.
Zusammengefasst lässt sich somit festhalten, dass das Handwerk keine generelle Stabilisatorfunktion besitzt. Vielmehr ist es vom Charakter der jeweils aktuellen konjunkturellen Gesamtkonstellation abhängig, ob das Handwerk stabilisierend wirkt. Die Grundvoraussetzungen hierbei sind eine stabile Entwicklung der Inlandsnachfrage und die geringe Exportabhängigkeit des Handwerks. Vor allem die konjunkturellen Bewegungen im Bausektor und in abgeschwächter Form auch diejenigen im Konsumgüterbereich bestimmen dabei, ob das Handwerk stabilisiert oder nicht. Das beharrende Beschäftigungsverhalten des Großteils der Handwerkswirtschaft spricht hingegen dafür, dass dem Handwerk im Bereich des Arbeitsmarktes eine wichtige konjunkturelle Stabilisatorfunktion zukommt.
Auf der Grundlage dieser Ergebnisse konnten im Rahmen der Studie verschiedene wirtschaftspolitische Implikationen formuliert werden.