Humankapitalbildung und Beschäftigungsperspektiven im Handwerk
Haverkamp, K., Sölter, A. & Kröger, J. (2009). Humankapitalbildung und Beschäftigungsperspektiven im Handwerk. Göttinger Handwerkswirtschaftliche Studien (Band 79). Duderstadt: Mecke.
Angesichts der demografischen Entwicklung, des Strukturwandels und der Globalisierung kommen auf das Handwerk erhebliche personalpolitische Herausforderungen zu. Um vor diesem Hintergrund Beschäftigungs-, Karriere- und Qualifizierungsperspektiven einer fundierten Analyse zu unterziehen, wurde das Volkswirtschaftliche Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen (ifh Göttingen) im Jahr 2008 von den Handwerkskammern Braunschweig-Lüneburg-Stade, Hannover und Hildesheim-Südniedersachsen mit finanzieller Unterstützung durch die Region Hannover mit einer Studie beauftragt. In dieser sollte insbesondere den Fragen nach den Möglichkeiten der quantitativ ausreichenden und qualitativ adäquaten Nachwuchskräfteversorgung sowie einer dauerhaften Bindung der ausgebildeten Fachkräfte an das Handwerk nachgegangen werden.
Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen vollzog sich in der Studie in drei Schritten. Da die eigene Ausbildung von Fachkräften das hauptsächliche Rekrutierungsinstrument des Handwerks darstellt und damit maßgeblich die Sicherung des Fachkräftenachwuchses determiniert, wurden im ersten Schritt Fragen nach dem Berufswahlverhalten, der Ausbildungszufriedenheit und der Verbleibsbereitschaft nach Beendigung der Ausbildung untersucht. Als statistische Datenbasis diente dabei eine Umfrage, die im Juni/Juli 2008 an den Berufsbildungszentren der drei beteiligten Handwerkskammern durchgeführt wurde und an der sich 683 Auszubildende aus 19 Ausbildungsberufen beteiligt haben.
Die Auswertung der Ergebnisse dieser Umfrage verdeutlicht zum einen, dass zwischen den Absolventen unterschiedlicher Schulformen erhebliche Unterschiede bestehen, insbesondere was die Bewertung der Ausbildung und die weitere Zukunftsplanung angeht. So haben Abiturienten deutlich seltener Zweifel an dem Ausbildungsberuf bzw. würden ihn deutlich häufiger erneut wählen als Hauptschul- und Realschulabsolventen. Sie ziehen es ebenfalls deutlich seltener in Erwägung, die Ausbildung vorzeitig abzubrechen. Zugleich jedoch beabsichtigen etwa zwei Drittel von ihnen, nach Beendigung der Ausbildung ein Studium aufzunehmen, während sich die Hauptschul- und Realschulabsolventen vorwiegend einen Verbleib im Ausbildungsbetrieb wünschen. Darüber hinaus zeigt sich in der Studie, dass der ausgeprägten Verbleibsbereitschaft der Auszubildenden häufig keine klare betriebliche Perspektive mit einem Übernahmeangebot gegenübersteht.
Da die Fachkräfteversorgung im Handwerk entscheidend durch die Abwanderung der ausgebildeten Fachkräfte bestimmt wird, erfolgte im zweiten Schritt die Analyse der sektoralen, beruflichen und statusbezogenen Mobilität von Facharbeitern. Als statistische Grundlage dienten dabei die BiBB/IAB bzw. BiBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragungen aus den Jahren 1979-2006, die eine Repräsentativität der Ergebnisse für die Gesamtheit der Erwerbstätigen im Handwerk gewährleisten.
Dabei konnte die These der „Saatbeetfunktion des Handwerks“ eindeutig bestätigt werden: Das Handwerk bildete im gesamten analysierten Zeitraum über den eigenen Bedarf hinaus. Zugleich wurde gezeigt, dass die Verbleibsraten im Handwerk, die bis 1999 sogar einem leicht positiven Trend zu folgen schienen, 2006 deutlich zurückgegangen sind. Während in den 1980er und 1990er Jahren etwa jeder zweite ausgebildete Geselle im Laufe seines Berufslebens das Handwerk verlassen hat, betrug der Anteil der „Handwerkstreuen“ 2006 nur noch ein Drittel. Besonders hoch war die Abwanderung bei den jungen Erwerbstätigen (unter 25 Jahre). Demgegenüber stand jedoch eine Steigerung der Zuwanderungsraten in das Handwerk. Während Facharbeiter, die in anderen Wirtschaftsbereichen ausgebildet wurden, bis 1999 etwa 14% bis 18% aller im Handwerk Erwerbstätigen mit Lehrabschluss ausgemacht haben, betrug dieser Anteil 2006 knapp 30%. Die Analyse verdeutlicht damit die gestiegene Mobilität der Facharbeiter und die Öffnung des Handwerks gegenüber „handwerksfremden“ Mitarbeitern.
Um den Fragen nach den Qualifikationsprofilen der bestehenden Belegschaften und den Karriereperspektiven für die im Handwerk bleibenden bzw. in das Handwerk zuwandernden Personen nachzugehen, erfolgte im dritten Schritt die Analyse der Qualifikationsprofile, der Karrierepfade sowie der Arbeitszufriedenheit von Erwerbstätigen im Handwerk. Auch dieser Analysekomplex basiert auf den für das Handwerk repräsentativen Auszügen der BiBB/IAB bzw. BiBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragungen. Hierbei bestätigt sich erstens die besondere Bedeutung von Facharbeitern im Handwerk. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass die überwiegende Mehrzahl der im Handwerk Erwerbstätigen einen zielgerichteten Qualifikationsverlauf hinter sich hat, der insbesondere aus investitionstheoretischer Sicht sehr positiv zu werten ist: Knapp über 65% der Erwerbstätigen im Handwerk haben eine einzige Berufsausbildung abgeschlossen; weitere 8,5% der Erwerbstätigen konnten zusätzlich einen Fachschulabschluss erwerben. Der Anteil derjenigen, die mehrere Ausbildungen durchlaufen haben, ist mit etwa 13% nicht unerheblich, schließt jedoch nicht nur Berufswechsler ein, sondern auch Personen, die ihr Qualifikationsspektrum durch das Erlernen verwandter Berufe erweitern. Zweitens konnte gezeigt werden, dass von zunehmender fachlicher Überforderung der Erwerbstätigen im Handwerk – wie sie mancherorts postuliert wird – nicht ausgegangen werden kann. Drittens bestätigt sich bei der Analyse der Arbeitszufriedenheit von Erwerbstätigen im Handwerk im Vergleich zur Industrie und zum Handel, dass sich die Erwerbstätigen im Handwerk stark mit ihrer Arbeit identifizieren, allerdings tendenziell weniger mit dem Einkommen zufrieden sind als Erwerbstätige im Industriesektor.
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse wurden in der Studie einige Empfehlungen hinsichtlich möglicher Rekrutierungs- und Mitarbeiterbildungsstrategien ausgesprochen. Hier geht es bspw. darum, sich intensiver auf die Karrierewünsche der Abiturienten einzulassen oder mögliche Verbleibsperspektiven im Betrieb rechtzeitig zu kommunizieren, damit Auszubildende nicht aus beruflicher Unsicherheit das Handwerk verlassen.