Existenzgründungen mit Meisterbrief - Auswertung der Handwerksstatistik
Müller, K. (2008). Existenzgründungen mit Meisterbrief - Auswertung der Handwerksstatistik. Göttinger Handwerkswirtschaftliche Arbeitshefte (Heft 59). Göttingen.
Die Identität des Handwerks wurde durch viele Jahrhunderte durch eine gemeinsame Sozialisation geprägt. In diesem Rahmen spielte der Meisterbrief eine entscheidende Rolle, so dass im allgemeinen Sprachgebrauch die Begriffe "Handwerksbetrieb" und "Meisterbetrieb" häufig synonym verwendet wurden. Durch den forcierten Strukturwandel infolge der Globalisierung, aber auch durch die Auswirkungen der Novellierung der Handwerksordnung von 2004 ist diese Identität in Frage gestellt. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass für viele Berufe heute keine Meisterprüfung mehr notwendig ist und auch in den zulassungspflichtigen Handwerken der Zugang liberalisiert wurde. Zudem werden die handwerksähnlichen Gewerbe zunehmend ins Handwerk integriert, so dass sie heute fast selbstverständlich als Teil dieser Wirtschaftsgruppe angesehen werden. Die Konsequenz ist, dass die Bedeutung der Meisterbetriebe in Frage gestellt ist. Vor diesem Hintergrund bestand das Ziel der vorliegenden Untersuchung des ifh Göttingen darin, aufzuzeigen, welche quantitatives Gewicht Existenzgründer mit Meisterprüfung heute im Handwerk noch aufweisen. Darüber hinaus soll die Bedeutung der übrigen Zugangsvoraussetzungen ermittelt werden.
Als wichtigstes Ergebnis zeigt sich, dass von den etwa 85.500 Existenzgründern im Handwerk des Jahres 2007 nur knapp 22.000 einen Meisterbrief aufzuweisen hatten. Dies ist nur etwas mehr als jeder vierte. Von diesen waren etwa zwei Drittel Inhaber und ein Drittel Betriebsleiter. Betrachtet man nur die zulassungspflichtigen Handwerke liegt der Meisteranteil bei etwa zwei Drittel. Eine gleichwertige Prüfung weist jeder fünfundzwanzigste Inhaber auf, wobei es sich hierbei zu etwa gleichen Teilen um Inhaber und Betriebsleiter handelt. Aufgrund der "Altgesellen-Regelung" sind knapp 4 % der Existenzgründungen eingetragen worden.
Den größten Block stellen die sonstigen Gründungen dar. Die meisten Inhaber haben entweder überhaupt keine Qualifikation, keine fachspezifische Qualifikation oder haben diese nicht nachgewiesen. Diese kommen ausschließlich aus den nicht-zulassungspflichtigen Handwerken. Den Rest stellen Betriebe in den zulassungspflichtigen Handwerken mit einer sonstigen Zugangsberechtigung (vor allem Ausnahmebewilligung, EU-Bescheinigung) dar. Dieser relativ geringe Stellenwert der Gründer mit Meisterbrief hat sich erst in den letzten Jahren, vor allem nach der Novellierung der Handwerksordnung, ergeben. In den Jahren zuvor lag deren Anteil noch zwischen 75 % und 80 % (A- und B1-Handwerke). Diese Abnahme lässt sich nicht nur prozentual nachweisen; auch absolut gesehen haben sich in den letzten Jahren weniger Meister selbstständig gemacht als früher.
Bezogen auf die Gesamtheit der Handwerksunternehmen, also nicht nur für die Gründer, liegt der Anteil der "Meisterbetriebe" höher, nach einer vagen Hochrechnung bei knapp 60 %, im zulassungspflichtigen Handwerk sogar bei über 80 %. Wegen der vielen Gründungen ohne Meisterqualifikation in den letzten Jahren dürfte der Stellenwert der Meisterbriefe trotz einer höheren Überlebensrate jedoch zukünftig sinken.
Um zu untersuchen, welches Potenzial an Handwerksmeistern für Existenzgründungen zur Verfügung steht, wurden ebenfalls die Meisterprüfungszahlen der letzten Jahre betrachtet. Diese sind seit einigen Jahren kontinuierlich gefallen. Der Rückgang verstärkte sich nach der Novellierung der Handwerksordnung, da insbesondere in den zulassungsfreien Handwerken das Interesse an dieser Qualifikation sank. Dieser Rückgang wäre noch stärker ausgefallen, wenn er nicht durch verschiedene Faktoren wie die demographische Entwicklung, den schnelleren Zugang zur Meisterprüfung (durch eine weitere Regelung der HwO-Reform), Imagekampagnen zur Meisterausbildung und die Verbesserung des Meister-Bafögs abgeschwächt worden wäre. Nach einer Prognose des ifh Göttingen dürfte die Zahl der Meisterprüfungen bis zum Jahr 2014 auf etwa 15.500 sinken. Dies ist eine geringere Zahl, als sich derzeit in jedem Jahr Meister selbstständig machen.
Daraus kann indirekt geschlossen werden, dass die Zahl der Gründer mit Meisterbrief zukünftig weiter zurückgehen wird. Dies dürfte die Konsequenz mit sich bringen, dass die ursprünglich synonyme Verwendung der Begriffe "Handwerksbetrieb" und "Meisterbetrieb" ausgehöhlt wird und längerfristig aus dem Alltagsgebrauch verschwindet. Das Handwerk in seiner Gesamtheit verliert damit nicht nur eine Qualifikationsbasis, die zum Überleben auf globalisierten Märkten von größter Bedeutung ist, sondern der Imageverlust in der Bevölkerung hat auch negative Auswirkungen auf den gesamten Berufsstand.
Qualifikation der Existenzgründer im Handwerk (2007)
Aber auch für die Gesellschaft bringt der Bedeutungsverlust der Meisterbetriebe negative Folgen mit sich. Eine Gefahr ist, dass die Ausbildungsquote sinkt. da die vielen Gründer ohne Qualifikation weder die Fähigkeit noch die Berechtigung oder gar das Interesse an einer Ausbildung von Lehrlingen aufweisen. Damit ist ein Verlust an Humankapital verbunden, der u.a. auch Auswirkungen auf die Innovationsfähigkeit der Betriebe hat. Zu befürchten ist, dass das Handwerk zukünftig infolge der vielen Kleinstgründungen in den B1- und B2-Handwerken zu einem nicht unerheblichen Teil durch ein "Selbstständigen-Proletariat" geprägt wird, wodurch das Image dieser Wirtschaftsgruppe einschneidend verändert wird.
Um den entgegenzusteuern, sollten sowohl die öffentlichen Hände als auch die Handwerksorganisationen es noch stärker als bisher als eine ihre Aufgaben betrachten, die Meisterqualifikation zu fördern. Insbesondere den Handwerksorganisationen fällt hierbei eine entscheidende Rolle zu, haben sie doch durch den vielfachen Kontakt, den sie über ihre Bildungseinrichtungen zu den Lehrlingen und den anderen Handwerksbeschäftigten aufweisen, die Möglichkeit, diese von dem Wert eines Meisterabschlusses zu überzeugen.