Die Auswirkungen der HwO-Reform auf das niedersächsische Handwerk
Müller, K. (2006). Die Auswirkungen der HwO-Reform auf das niedersächsische Handwerk. Göttinger Handwerkswirtschaftliche Arbeitshefte (Heft 58). Göttingen.
Die Novellierung der Handwerksordnung zum 01. Januar 2004 bedeutet die umfangreichste Veränderung der Handwerksordnung seit deren In-Kraft-Treten 1953. Diese Novellierung bringt nicht nur erhebliche Auswirkungen für den Zugang zu den einzelnen Handwerksberufen mit sich, sondern durch sie wird auch das Erscheinungsbild des Handwerks, das bislang in erster Linie durch den Meisterbetrieb geprägt war, wenn nicht aufgehoben, jedoch erheblich relativiert.
Inzwischen sind über zweieinhalb Jahre vergangen. Zu diesem frühen Zeitpunkt können noch nicht alle Auswirkungen der Novellierung umfassend beurteilt werden. Ein erstes Resümee ist aber durchaus möglich. Dieses liegt für das Bundesgebiet durch eine umfangreiche Studie des ifh Göttingen vor (Müller, Klaus: Erste Auswirkungen der Novellierung der Handwerksordnung von 2004, Göttinger Handwerkswirtschaftliche Studien, Bd. 74, Duderstadt 2006). Diese Arbeit differenziert die Auswirkungen der HwO-Reform nach einzelnen Gewerken, nicht jedoch nach regionalen Gesichtspunkten.
Hier liegt der Ansatzpunkt der vorliegenden Arbeit. Im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des Landes Niedersachsen sollen die Auswirkungen der HwO-Reform auf das Handwerk in diesem Bundesland gesondert untersucht werden. Insbesondere geht es darum, die Auswirkungen der eingeführten Zugangserleichterungen auf den handwerklichen Betriebsbestand und die dadurch resultierenden Folgen auf das Humankapital im Handwerk zu analysieren. Im Gegensatz zur Bundesstudie erstreckt sich die Betrachtung für Niedersachsen auch auf das erste Halbjahr 2006.
Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich feststellen, dass die Zahl der Existenzgründungen im Handwerk, insbesondere in den zulassungsfreien Berufen, erheblich gestiegen ist. Damit konnte eine negative Entwicklung der letzten Jahre gestoppt werden. Obwohl die Bestandsfestigkeit vieler Gründungen relativ gering ist, hat sich auch die Zahl der Handwerksbetriebe insgesamt erhöht. Die Auswirkungen auf die Humankapitalbildung fallen eher negativ aus, insbesondere was die Zahl der bestandenen Meisterprüfungen betrifft. Im Ausbildungsbereich ist derzeit eine eindeutige Aussage nur schwierig zu ziehen, weil die Entwicklung in den letzten zwei Jahren stark durch andere Faktoren (Ausbildungspakt, Neuregelung verschiedener Ausbildungsberufe, schlechte wirtschaftliche Situation der Betriebe) überlagert worden ist. Eindeutig lässt sich nur eine gesunkene Ausbildungsbereitschaft, vor allem der neu gegründeten Betriebe, feststellen.
Positive Auswirkungen auf die Zahl der Handwerksbeschäftigten durch die HwO-Reform sind bislang nicht erkennbar. Die gestiegene Zahl von Selbstständigen konnte bislang höchstens bei den zulassungsfreien Handwerken den Rückgang bei den abhängig Beschäftigten kompensieren. In den zulassungspflichtigen Handwerken ist die Beschäftigung weiter rückläufig. Positiv hat die HwO-Novellierung sicher zum Abbau der Schwarzarbeit beigetragen, wobei hierfür auch noch andere Faktoren verantwortlich sind. Über die Entwicklung des Preisniveaus für handwerkliche Güter und Leistungen lassen sich keine generellen Aussagen machen. Preissenkende Effekte kommen vor allem bei Fliesenlegearbeiten vor.
Im niedersächsischen Handwerk weichen die Ergebnisse im Einzelnen etwas vom Bundesland ab. So nahm die Zahl der Existenzgründungen vor allem bei den zulassungsfreien, geringfügig aber auch bei den zulassungspflichtigen Handwerken in diesem Bundesland stärker zu. Bei etwas höherer Abgangsrate bedeutet dies, dass die Fluktuation der Betriebe größer ist, was auf eine etwas geringere Bestandsfestigkeit hindeutet. Die höheren Existenzgründungszahlen bei den B1-Handwerken sind deshalb umso erstaunlicher, weil sich in Niedersachsen ein Substitutionseffekt (Gründung in einem B1- statt in einem B2-Handwerk) im Gegensatz zum Bundesgebiet kaum nachweisen lässt. Bei den A-Handwerken wird die Möglichkeit, einen Betrieb über die "Altgesellenregelung" zu gründen, in Niedersachsen etwas häufiger genutzt, die Regelung zur Anerkennung gleichwertiger Prüfungen dafür seltener.
Im Bereich der Ausbildung ist in Niedersachsen der Handwerksanteil an allen Ausbildungsanfängern nach wie vor höher als im Bundesgebiet. Bei den A-Handwerken liegt die Ausbildungsbetriebsquote und die Zahl der Ausbildungsanfänger je 1.000 Betriebe vergleichsweise hoch. Bei den B1-Handwerken sind diese Kennzahlen allerdings von einem höherem Ausgangswert her inzwischen auf Bundesniveau gefallen. Dies liegt vor allem daran, dass die Zahl der Ausbildungsplätze in diesem Teil des Handwerks relativ stark abgenommen hat. Die Zahl der Meisterprüfungen ist überall stark gefallen. Bei den B1-Handwerken war die Abnahme in Niedersachsen besonders hoch.
Insgesamt bleibt als zentrales bisheriges Ergebnis der HwO-Reform ein Existenzgründungsboom festzuhalten. Dieser hat zu einer Zunahme des Bestandes an Selbstständigen im Handwerk und damit auch in der gesamten Volkswirtschaft geführt. Zu bedenken ist jedoch, dass eine Zunahme der Selbstständigenquote nicht immer mit mehr Wachstum und Beschäftigung einhergeht. Wichtiger ist die Qualität der Existenzgründungen.
Für die Zukunft ist damit zu rechnen, dass die starke Betriebsexpansion, insbesondere in den zulassungsfreien Handwerken, nachlässt. Für diese Entwicklung sind verschiedene Gründe maßgeblich. So dürfte vor allem der Nachholeffekt an Existenzgründungen durch die Erleichterungen der HwO-Reform langsam abklingen. Aber auch der positive Einfluss auf die Gründungszahlen, der in den letzten zwei Jahren durch die Co-Faktoren (Ich-AG-Förderung, Gründer aus den neuen EU-Beitrittsstaaten, verbesserte wirtschaftliche Lage) ausgegangen ist, sollte zukünftig an Gewicht verlieren.
Die Diskussion über die Auswirkungen der HwO-Reform sollte sich aber nicht nur auf die Entwicklung der reinen Gründungs- bzw. Betriebszahlen erstrecken. Wichtiger erscheint es, zukünftig anderen Aspekten, die mit dieser Reform verbunden sind, stärkere Aufmerksamkeit zu schenken. Dies sind vor allem die Fragen, wie sich die Qualität handwerklicher Produkte und Leistungen infolge der HwO-Reform geändert hat, ob die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit des Handwerks gestiegen ist und ob sich gesicherte Aussagen über die Veränderung bei den Beschäftigten ableiten lassen. Darüber hinaus sollte auch untersucht werden, welche Auswirkungen sich längerfristig für die gesamtwirtschaftliche Ausbildungsfunktion und das Erscheinungsbild des Handwerks ergeben. Nur wenn hierüber Ergebnisse vorliegen, lässt sich endgültig über die Ergebnisse der HwO-Reform urteilen.