Qualifikationsbedarf und Beschäftigtenentwicklung im niedersächsischen Zulieferhandwerk
König, W. & Dornieden, M. (1998). Qualifikationsbedarf und Beschäftigtenentwicklung im niedersächsischen Zulieferhandwerk. Göttinger Handwerkswirtschaftliche Studien (Band 57). Duderstadt: Mecke.
Das handwerkliche Zulieferwesen sieht sich seit einigen Jahren größeren Herausforderungen gegenüber, wobei in Übereinstimmung mit der zu beobachtenden Innovationsdynamik ein vermehrter Qualifikationsbedarf entstanden ist. Das Handwerk und die Handwerksorganisationen benötigen in diesen Zusammenhängen eine sichere Grundlage für mögliche Maßnahmen zur Zukunftssicherung dieses Unternehmensspektrums.
Vor diesem Hintergrund hat das Seminar für Handwerkswesen an der Universität Göttingen in Zusammenarbeit mit dem Landesverband Metall Niedersachsen/Bremen und dem Institut für Technik der Betriebsführung Karlsruhe ein durch den Europäischen Sozialfond gefördertes Projekt mit dem Titel „Qualifikationsbedarf und Beschäftigtenentwicklung im niedersächsischen Zulieferhandwerk“ durchgeführt.
Folgende Ergebnisse der Studie verdienen festgehalten zu werden:
Vor einer pauschalen Bewertung des Zulieferhandwerks als „industrienah“ ist dringend zu warnen. Vielmehr ist eine Abgrenzung von der mittelständischen Zulieferindustrie erforderlich, auch wenn größere handwerkliche Einheiten in diese Richtung tendieren. Die handwerklichen Zulieferer sind im allgemeinen nicht existenziell bedroht, die Globalisierung ist nur ein bedingter Einflußfaktor. Die Umsatz- und Gewinnsituation hat sich in jüngerer Zeit wieder verbessert, die Betriebsinhaber haben im allgemeinen relativ gute Zukunftserwartungen, wobei allerdings Unterschiede von Handwerkszweig zu Handwerkszweig vorliegen.
Die Handwerksbetriebe sind seit vielen Jahren etabliert, die Zulieferung ist nicht ihr exklusives Betätigungsfeld. Sie wurde aber in der Mehrzahl der Fälle systematisch angestrebt. Die Zulieferquote als Anteil der Zulieferprodukte am Gesamtumsatz liegt deutlich über 50% und ist im Zeitablauf relativ konstant. Im allgemeinen beabsichtigen die handwerklichen Zulieferer keinen Strategiewechsel. Lediglich größere Einheiten wollen unter Umständen neben der Zuliefertätigkeit anderen Optionen nachgehen.
Das Zulieferhandwerk verzeichnet ein beträchtliches Leistungsspektrum, wobei die Zulieferprodukte häufig im Zusammenhang mit produktiven Diensten abgegeben werden, was ein nicht unbeträchtlicher positiver Wettbewerbsfaktor ist. Erwartungsgemäß sind kleine handwerkliche Zulieferer vor allem Teilelieferanten, während größere Einheiten Module und Systeme liefern. Gleichwohl ist im Zulieferhandwerk das Konzept der Zulieferpyramide ein untaugliches Klassifikationsinstrument, da Handwerksbetriebe trotz der angedeuteten Spezialisierung in der Regel in allen Bereichen der „Pyramide“ tätig sind bzw. zugleich auf unterschiedlichen Stufen der Wertschöpfungskette agieren. Hierbei fällt vor allem ins Gewicht, daß handwerkliche Einheiten kaum Standardprodukte herstellen, sondern ihre Zulieferung ausgesprochen abnehmerspezifisch erfolgt und die Produkte komplex sind unabhängig von der Betriebsgröße. Gleichwohl spielt eine Forschungs- und Entwicklungstätigkeit im Handwerk allenfalls bei den Werkzeugmachern eine Rolle.
Was die Fertigungsverfahren anbelangt, so verzeichnet das Zulieferhandwerk eine kreative Vielfalt in Funktion der Anforderungen von Abnehmern. Es dominiert die stets rentablere Einzelfertigung, gefolgt von der Kleinserienfertigung. Computergestützte Fertigungssysteme mit einem relativ großen Rückgriff auf CNC-Technologien und CAD-Systemen bringen mit sich, daß ein gewisser Stand an Automatisierung erreicht ist, ohne an Flexibilität zu verlieren. In vielen Bereichen des Zulieferhandwerks ergibt sich eine vorteilhafte Verbindung von High-Tech-Produktion mit Einzel- und Kleinserienfertigung. Es existieren Automatisierungsreserven. Ihre Nutzung ist eine Frage der Finanzkraft, wo sich in vielen Fällen Engpässe zeigen.
Die Geschäftsbeziehungen von handwerklichen Zulieferern sind derart, daß von Zuliefernetzwerken gesprochen werden kann. Immerhin tätigen zwei Drittel von ihnen ihre Einkäufe auch bei anderen Zulieferern auf Grund einer überlegten Beschaffungspolitik. Die eigentliche Vielfalt der Geschäftsbeziehungen ergibt sich auf der Absatzseite, für die eine logistische Vernetzung typisch ist. Mehrheitlich werden andere Zulieferer bedient. Dies ist um so eher der Fall, je größer der handwerkliche Zulieferer ist. Auch diese Feststellung ist Ausdruck dafür, daß der Gedanke der Zulieferpyramide im Handwerk nicht aufrecht zu erhalten ist. Dies wird vor allem dadurch untermauert, daß nur jeder siebte handwerkliche Zulieferer keine Endprodukthersteller beliefert. Gleichzeitig beliefert auch nur jeder vierte Handwerksbetrieb keine Zulieferer.
Der Strukturwandel, dem sich handwerkliche Zulieferer unterworfen sehen, findet auch seinen Ausdruck in einem Wandel ihrer Beschäftigungsstruktur. Dieser Wandel kann von ihnen nur bedingt beeinflußt werden und führt direkt zu Fragen der beruflichen Qualifizierung. Herausragend ist die Abnahme des Anteils gewerblich Auszubildender an der Gesamtbeschäftigung, was ein spezifisches Rekrutierungsproblem offenlegt und die Frage nach der Qualifizierung von Lehrstellenanwärtern tangiert. Die Kompensation für den Bedeutungsverlust der gewerblich Auszubildenden erfolgt rein äußerlich durch den gestiegenen Anteil an- und ungelernter Arbeit, was zwangsläufig Defizite bei der Humankapitalbildung im Zulieferhandwerk impliziert.
Die handwerklichen Zulieferer haben im Strukturwandel mit einer Anpassung ihrer Betriebsgröße reagiert. Sie ist mehr oder weniger kontinuierlich gestiegen auf eine durchschnittliche Beschäftigtenzahl von 26. Das Gewicht kleiner Einheiten mit bis zu neun Mitarbeitern hat in in den vergangenen zwölf Jahren deutlich abgenommen.