Entwicklungspotentiale des handwerksähnlichen Gewerbes in Sachsen-Anhalt

Rudolph, A. & Müller, K. (1998). Entwicklungspotentiale des handwerksähnlichen Gewerbes in Sachsen-Anhalt. Göttinger Handwerkswirtschaftliche Studien (Band 58). Duderstadt: Mecke.

Innerhalb des Handwerks spielt das handwerksähnliche Gewerbe eine immer größere Rolle. In Sachsen-Anhalt wie auch dem früheren Bundesgebiet hat sich der Anteil des handwerksähnlichen Gewerbes gegenüber dem Vollhandwerk in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht. Trotz des Bedeutungszuwachses der Handwerksähnlichen ist dieser Teil des Handwerks bislang kaum untersucht worden. Der Grund für den bislang nicht befriedigten Forschungsbedarf liegt vor allem darin, daß die Datenlage über das handwerksähnliche Gewerbe bislang sehr schlecht war. Dies hat sich mit der 1996 vom Statistischen Bundesamt erstmalig durchgeführten Zählung im handwerksähnlichen Gewerbe geändert. Damit bietet sich erstmals die Chance, das handwerksähnliche Gewerbe detailliert nach verschiedenen Gesichtspunkten zu untersuchen.

Der Initiative des Ministeriums für Wirtschaft, Technologie und Europaangelegenheiten des Landes Sachsen-Anhalt ist es zu verdanken, daß eine solche, bundesweit bislang einmalige Untersuchung für das Bundesland Sachsen-Anhalt mit Finanzhilfen aus den Europäischen Strukturfonds durchgeführt werden konnte. Grundlage dieser Studie sind neben den Ergebnissen der Zählung im handwerksähnlichen Gewerbe eine gründliche Auswertung der Handwerksrollen der beiden Kammern sowie eine empirische Erhebung bei handwerksähnlichen Betrieben. Als Vergleichsgebiet dienen die alten Bundesländer.

Im Einzelnen wurden folgende wichtige Ergebnisse ermittelt:

Das handwerksähnliche Gewerbe konnte im Betrachtungszeitraum zwischen 1991 und 1997 stark expandieren. In Sachsen-Anhalt hat sich der Betriebsbestand mehr als verdoppelt; das handwerksähnliche Gewerbe im früheren Bundesgebiet erfuhr in der gleichen Zeit eine Steigerung des Betriebsbestandes um 60 %. Insgesamt waren in Sachsen-Anhalt zum Zeitpunkt der Zählung gut 2 800 Unternehmen mit knapp 9 000 Beschäfigten tätig, die 1995 einen Umsatz von 737,5 Mio. DM erwirtschaftet haben. Im früheren Bundesgebiet beläuft sich die Zahl der handwerksähnlichen Unternehmen auf gut 94 000 mit knapp 236 000 Beschäftigten und einem Gesamtumsatz von 18,3 Mrd. DM.

Im handwerksähnlichen Gewerbe verläuft die Entwicklung des Betriebsbestandes deutlich turbulenter als im Vollhandwerk. Vor allem neu gegründete handwerksähnliche Betriebe verschwinden häufig schon bald nach der Gründung wieder vom Markt. Die Bestandskraft junger handwerksähnlicher Betriebe ist als ausgesprochen prekär zu bezeichnen; nach vier Jahren existiert nur noch rund jedes zweite neu gegründete Unternehmen in Sachsen-Anhalt. Die Situation sieht im früheren Bundesgebiet etwas besser aus.

Konfliktpotentiale zwischen handwerksähnlichem Gewerbe und Vollhandwerk entstehen vor allem dort, wo das handwerksähnliche Gewerbe spezielle Teiltätigkeiten von Vollhandwerksberufen ausübt (substitutive Schnittstelle); aus der Sicht des Vollhandwerks ergeben sich allein durch den scharfen Wettbewerbsdruck von Seiten des handwerksähnlichen Gewerbes Konflikte, welche nicht selten durch eine bewußte Verletzung der Handwerksordnung hervorgerufen werden. Aus der Sicht des handwerksähnlichen Gewerbes liegen Konfliktpotentiale weniger auf einzelwirtschaftlicher Ebene bzw. in den Konkurrenzbeziehungen zum Vollhandwerk, sondern vielmehr in dem Bereich der Interessenvertretung durch die Handwerksorganisationen. Handwerksähnliche Betriebe sehen sich zwar als vollwertige Beitragszahler, doch nicht als vollwertige Mitglieder der Handwerkskammer.

Aufgrund fehlender institutioneller Hürden ist das handwerksähnliche Gewerbe im Gegensatz zum Vollhandwerk ein potentielles Einsatzfeld für Scheinselbständigkeit. Insgesamt ist im handwerksähnlichen Gewerbe in Sachsen-Anhalt von 300-600 Scheinselbständigen auszugehen; dies sind 10-20 % des gesamten Betriebsbestandes. Der Anteil der Scheinselbständigen am gesamten Betriebsbestand ist in Sachsen-Anhalt deutlich geringer als im Bundesgebiet, wo etwa jeder vierte handwerksähnliche Betrieb dem Scheinselbständigenpotential zuzuordnen ist (25.000 bis 30.000 Betriebe). In einigen Gewerbezweigen liegt der jeweilige Anteil potentiell Scheinselbständiger an dem Betriebsbestand deutlich über 50 %. Dazu zählen Fleischzerleger und Ausbeiner, Kabelverleger im Hochbau, Fuger, Holz- und Bautenschutzgewerbe sowie der Einbau von genormten Baufertigteilen.

Die expansive Entwicklung im handwerksähnlichen Gewerbe ist nicht monokausal zu erklären, sondern auf ein ganzes Ursachenbündel zurückzuführen. Die Attraktivität für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit hat sich aufgrund verschiedener Einflüsse auf interner (veränderte mentale Kosten der Selbständigkeit aufgrund der schlechten Arbeitsmarktlage), marktexogener (verbesserte Förderung des Übergangs zur Selbständigkeit, Novellierung der Handwerksordnung) sowie marktendogener Ebene (technischer Fortschritt, veränderte Arbeitsteilung) erhöht. Handwerksspezifische Faktoren (fehlender Befähigungsnachweis, fehlende Pflichtversicherung in der Rentenversicherung, geringerer Kapitalaufwand) sorgen dafür, daß diese Einflüsse auf das handwerksähnliche Gewerbe stärker einwirken als auf das Vollhandwerk.

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